Die Geschichte des Hauses ist untrennbar verknüpft mit der Geschichte der ursprünglich aus dem Raum Wasserburg stammenden Zimmerer- und Baumeisterfamilie Rieperdinger, die sich um Grafing ungemein verdient gemacht hat.

In seiner "Chronik des Marktes Grafing" vermerkt der Marktschreiber Lorenz Wagner für das Jahr 1859, dass sich hier "ansässig" gemacht hat "Bartl Rieperdinger als Zimmer-Meister". Bartholomäus Rieperdinger (*23.12.1834) war der Sohn eines Zimmermeisters und stammte aus Ötz bei Eiselfing (etwa 5 km südlich von Wasserburg). 1859, mit 24 Jahren, heiratete er Rosina Maier, die Tochter eines Grafinger Zimmermeisters, und ließ sich in Grafing nieder.

Offenbar machte er sich rasch einen Namen, denn bereits vier Jahre später, 1863, wurde er zum Magistratsrat (entspricht etwa einem heutigen Stadtrat) gewählt – ein Amt, das er viele Jahre innehatte. Im Frühjahr 1864 war Rieperdinger einer der Initiatoren bei der Gründung des Turnvereins und war Mitglied bei der 1869 gegründeten Freiwilligen Feuerwehr.
 

Familie RieperdingerSammlung Max Oswald
Rieperdinger mit seiner dritten Frau Anna und den gemeinsamen Kindern Kaspar (beim Vater), Maria und Rosina (links neben der Mutter, gleich gekleidet). Das Mädchen (Josefa) zwischen den Eheleuten sowie die vier Kinder in der hinteren Reihe (von links: Max ?, Georg ?, Bartholomäus jun. und Therese) stammen aus der zweiten Ehe.Foto: Atelier Johann Verra, Grafing, ca. 1896/97; Sammlung Max Oswald


Er überlebte drei Frauen und hatte 17 Kinder
Rieperdinger war dreimal verheiratet. Seine Frau Rosina starb 1869 nach 10-jähriger Ehe. Sie hatte ihm fünf Kinder geboren, von denen aber vier bereits im Kleinkindalter starben. 1870 heiratete er Anna Hutterer aus Oberelkofen, mit der er 14 Jahre verheiratet war. Sie gebar ihm sieben Kinder und starb 1884. Auch seine dritte Frau, Anna Pröbstl aus Forstseeon, überlebte ihn nicht. Sie starb nach 13-jähriger Ehe 1898. Insgesamt hatte Rieperdinger 17 Kinder, von denen aber mindestens sieben früh starben.​

Das Grundstück gehörte der Kirche
Im Jahr 1870 verkaufte die Dreifaltigkeitskirchenstiftung Grafing "den ihr gehörigen Hopfgartenacker Pl.N.220 zu 1,41 Tgw. mit hoher Regierungs- und Ordinariats-Bewilligung" an Rieperdinger zum Preis von 1.500 Gulden – eine ordentliche Summe Geldes, wenn man sich die damaligen Lebenshaltungskosten und Einkommen vor Augen führt.​

Marktschreiber Lorenz erwähnt in seiner Chronik, daß 1863 sein Gehalt von 300 auf 360 Gulden jährlich erhöht worden war. Beim Bau der Bahnlinie München – Grafing – Rosenheim (1868 bis 1872) verdiente ein Arbeiter – je nach Arbeit – täglich zwischen 54 Kreuzer und ca. 2 Gulden. Für ein Pfund Butter zahlte man 24 Kreuzer, für fünf Eier 4 Kreuzer und für eine lebende Gans 1 Gulden 12 Kreuzer. Ein Knecht erhielt für seine Arbeit in der Woche meistens einen Gulden, eine Magd etwas über die Hälfte, ungefähr 40 Kreuzer.​

Die Kirchenstiftung scheint Rieperdinger mit dem Verkauf des Ackers einigermaßen über den Tisch gezogen zu haben. Zusätzlich zum Kaufpreis war mit dem Erwerb nämlich die Auflage verbunden, 10 Jahre lang alljährlich zum Patroziniumsfest an der Marktkirche eine Vorhalle zu errichten und sie anschließend wieder abzureißen – unentgeltlich, versteht sich.​

Hopfenanbau in Grafing noch im 19. Jahrhundert
Auf dem besagten Acker (heute das Grundstück an der Bahnhofstraße 10 mit dem Max-und-Moritz-Kinderspielplatz, dem Rieperdinger'schen Wohnhaus, dem Heimatmuseum und dem Feuerwehrhaus) wurde damals Hopfen angebaut. Im 19. Jahrhundert lohnte sich der Hopfenanbau im Kleinen noch, und Hopfengärten – v.a. am Kühberg und am "Hacken", wie die Bahnhofstraße damals hieß – gehörten in dieser Zeit zum Ortsbild von Grafing.​

Gefragter Baumeister
Rieperdinger, der zu seinem Zimmerhandwerk auch noch die Meisterprüfung für Bauhandwerk absolviert hatte, war anscheinend ein gefragter Mann und verdiente nicht schlecht. So war er mit dem Umbau des Schulhauses im August und September 1870 beauftragt und verdiente daran 505 Gulden. 1871 errichtete er zusammen mit dem Maurermeister Johann Zacherl sämtliche Gebäude der Bahnstation Grafing Bahnhof im Gesamtbetrag von knapp 59.000 Gulden. 1902 übernahm er die Arbeiten bei der Verlängerung der Pfarrkirche.​

Bau des Wohnhauses 1871
1871 baute Rieperdinger das Wohnhaus, in das er mit seiner Familie einzog. An seinen Sohn Bartholomäus (1873 – 1950) übergab Rieperdinger im November 1905 mit 71 Jahren das Anwesen. Der Anbau auf der Rückseite des Gebäudes stammt aus dem Jahr 1907. Bartholomäus Rieperdinger sen. starb am 13. April 1909 im Alter von 74 Jahren.
 

Seniorenhaus-Grundstück gehörte Rieperdinger
Zu den umfangreichen Besitztümern der Familie gehörte auch eine Reihe von Grundstücken an der Glonner Straße, die Rieperdinger 1888 von Griesmüller Paul Oswald für 3.800,- Mark erworben hatte. Darunter befand sich der Grund, auf dem heute das Seniorenhaus steht.​

Über 100 Jahre Rieperdinger Haus
Der gesamte Besitz wurde 1963 nach dem Tod von Therese, der Tochter von Bartholomäus Rieperdinger jun., testamentarisch der Stadt Grafing vermacht. In den Folgejahren zogen in das Wohnhaus an der Bahnhofstraße 10 erst die Stadtkämmerei und das Stadtbauamt. Die ehemaligen Werkstattgebäude wurden umgebaut und die Giebel auf gleiche Höhe gebracht. Heute hat dort das Heimatmuseum seine Räume, daneben befinden sich Altenstube, Rotes Kreuz und ein Versammlungsraum. 1969 kam das Feuerwehrhaus dazu.​

Im Laufe der Jahre wurde das Rieperdinger Haus an den jeweiligen Zeitgeist und an die Bedürfnisse seiner jeweiligen Bewohner angepaßt. Es verlor den schmiedeeisernen Balkon und die Sprossenfenster mitsamt den Fensterläden. Der schlichte Charme, den das Gebäude um die Jahrhundertwende ausstrahlte, ging weitgehend verloren. Dennoch gehört das Haus zu den wenigen historischen Gebäuden in Grafing, das, obwohl über 100 Jahre alt, keine wirklich gravierenden Änderungen über sich hat ergehen lassen müssen.​

Behutsame Renovierung
Im Zuge seiner Renovierung hat das Haus wieder weitgehend das Aussehen erhalten, das es früher hatte. Die Fenster wurden im Frühjahr 2002 durch Sprossenfenster ersetzt, im Oktober 2002 konnte ein schmiedeeiserner Balkon an der Frontseite angebracht werden. Im Juni 2003 konnte das Gebäude fertiggestellt werden – rechtzeitig zum 50-jährigen Jubiläum der Stadterhebung Grafings.

Quellen:

  • Wagner, Lorenz: "Chronik des kgl. bay. Marktes Grafing", Aufzeichnungen über 900 Jahre Grafinger Geschichte. Hrsg. Stadt Grafing b. München, Verlag Lutz Garnies München, 1999.
  • Wenninger, Heinz: "Öxing – Grafing. Ein Markt – eine Stadt", Verlag G+R Wenninger Grafing.
  • Hupfer, Johann: "Die wirtschaftlichen Verhältnisse in Grafings Vergangenheit", Heft 10 der "Grafinger heimatkundlichen Schriften", Selbstverlag, 1984.
Rieperdinger Haus

Das Rieperdinger Haus auf einem Foto um 1900
Foto: Archiv des Museums

Rieperdinger Anwesen

Das gesamte Anwesen um 1900. Links das Wohnhaus aus Naturstein mit unverputzten Ziegelbögen über den Fenstern, daneben das langgestreckte Werkstattgebäude (Zimmerei und Schreinerei).
Foto: Archiv des Museums